Schnitzler: Arzt und Schriftsteller

Schnitzler: Arzt und Schriftsteller
Schnitzler: Arzt und Schriftsteller
 
Der Wiener Arzt Arthur Schnitzler gehört mit seinem Werk voll meisterhafter Sprachgestaltung und präziser psychologischer Beobachtung in eine Reihe mit Robert Musil und Karl Kraus. Sein »Reigen« sorgte nach der Uraufführung 1920 für eine Anklage der Direktion und der Schauspieler des Kleinen Schauspielhauses in Berlin wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Schnitzler sperrte das Stück daraufhin, was bis 1981 gültig blieb. Der amerikanische Starregisseur Stanley Kubrick hat 1998 in seinem letzten Film »Eyes wide shut« Schnitzlers »Traumnovelle« adaptiert und in das New York der Gegenwart versetzt.
 
 Arthur Schnitzler — die Biografie
 
Ausbildung zum Arzt
 
Arthur Schnitzler wurde am 15.05.1862 als Sohn eines jüdischen Arztes in Wien geboren, der als Student aus Ungarn nach Wien gekommen war. Nach dem Besuch des Akademischen Gymnasiums 1871—1879 studierte Schnitzler Medizin und promovierte im Jahr 1885. 1885—1888 war er Assistenzarzt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, 1888—1893 arbeitete er als Assistent des Vaters an der Poliklinik. Als der Vater 1893 starb, eröffnete Schnitzler eine Praxis. Mit der Zeit legte er den Schwerpunkt seiner Arbeit dann aber auf sein literarisches Schaffen. Seine ersten Veröffentlichungen waren medizinische Fachbeiträge und Seminar- und Kongressberichte, die er für das Fachblatt des Vaters, die »Internationale Klinische Rundschau« verfasste. Die erste literarische Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 1880 (»Liebeslied der Ballerine«, abgedruckt in »Der freie Landesbote« in München). Ab 1886 war Schnitzler häufig mit Gedichten, Prosa und Aphorismen in verschiedenen Zeitschriften vertreten.
 
Sein Werk erregt die Öffentlichkeit
 
1892/1893 erschien in Berlin seine Einakterreihe »Anatol«. 1895 erregte er mit dem Schauspiel »Liebelei« einen Skandal, da er das Verhältnis eines Mannes aus besseren Kreisen zu einem »süßen Mädel« thematisierte. 1895 erschien auch seine Novelle »Sterben« in seinem späteren Hausverlag S. Fischer, Berlin. 1901 kam Schnitzlers Novelle »Lieutenant Gustl« heraus. Hier zeigte er — durchgehend in einem inneren Monolog —, wie zweifelhaft ihm der Ehrenkodex des Militärs erschien. Die Folge war, dass ihm sein Rang als Reserveoffizier aberkannt wurde.
 
Der Skandal des »Reigen«
 
Großen Skandal erregte auch Schnitzlers Szenenreihe »Reigen«, die er 1896/1897 geschrieben hatte und die 1903 in Wien erschien. Sie zeigt den Egoismus und die Kälte, die in sexuellen Beziehungen herrschen können. In Deutschland wurde dieses Werk schon kurz nach seinem Erscheinen verboten. Es wurde erst im Jahr 1920 uraufgeführt, da sich Schnitzler bis dahin geweigert hatte, das Stück freizugeben. Da es nur weitere Skandale und Prozesse nach sich zog — so kamen in Berlin Schauspieler und Direktion wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses vor Gericht —, sperrte Schnitzler das Stück schließlich für alle öffentlichen Aufführungen. Diese Sperre behielt bis 1981 Gültigkeit.
 
Zusammenhänge von Beziehungen und Gefühlen
 
Die komplexen Zusammenhänge von Beziehungen und Gefühlen stellte Schnitzler auch in seinen beiden Stücken »Der einsame Weg« (1904 in Berlin erschienen) und »Das weite Land« dar. »Das weite Land«, eine Tragikomödie, wurde im Jahr 1911 gleichzeitig an acht verschiedenen Bühnen aufgeführt. Diese Phase seines Schaffens war wohl die erfolgreichste für Arthur Schnitzler. Ebenfalls mit der Zensur kam Schnitzler mit seinem Stück »Professor Bernhardi« in Konflikt, in dem er, ausgehend von der Person und den Erlebnissen seines Vaters, schilderte, welchen antisemitischen Anfeindungen der jüdische Leiter einer Krankenanstalt ausgesetzt war. Das Stück hatte 1912 in Berlin Premiere, in Österreich kam es erst 1918 zur Aufführung, da bis dahin die Zensurbehörden dies verhindert hatten.
 
Im Ersten Weltkrieg war Schnitzler einer der wenigen, die sich nicht von der Kriegsbegeisterung anstecken ließen. Das beweisen seine 1939 posthum erschienenen — negativen — Wertungen vieler Politiker und Diplomaten aus der Kriegszeit (»Über Krieg und Frieden«). Schnitzlers Ruhm verblasste in den 20er-Jahren langsam. Das Interesse an der Aufführung seiner Dramen sank, einzig erfolgreiches Buch war die Erzählung »Fräulein Else« (erschienen 1924), die er wieder als inneren Monolog gestaltete. Der Film als ein neues Medium fand in dieser Zeit zunehmend Interesse an Schnitzlers Stoffen. Bereits 1914 war sein Stück »Liebelei« in Dänemark verfilmt worden, ab 1921 kamen dann sechs weitere Filme auf der Basis von Werken Schnitzlers hinzu. Er selbst verfasste auch Entwürfe für Drehbücher.
 
Literarische Umsetzung von Krankengeschichten
 
Immer wieder machte Schnitzler Krankengeschichten zum Thema seiner literarischen Werke. Dies geschah in seinem ersten Novellenbuch »Sterben« von 1895 genauso wie in der Erzählung »Ich« von 1917. Auch das Buch, das 1931 als Letztes zu Lebzeiten Schnitzlers erschien, nämlich »Flucht in die Finsternis«, handelt von der Entwicklung einer (psychischen) Krankheit. In dieser bereits 1917 fertig gestellten Erzählung zeigt der Arzt Arthur Schnitzler, wie ein Mensch langsam von der Paranoia ergriffen wird. Besondere Beachtung verdient das Tagebuch, das Schnitzler seit seinem 17. Lebensjahr bis zu seinem Tod kontinuierlich geführt hat. Dieses etwa 8 000 Seiten umfassende handschriftliche Manuskript wird seit 1981 editiert. Es ist ein einzigartiges Zeitzeugnis, das Schnitzler als versierten Beobachter aller Tendenzen aufzeigt, die sich zu seinen Lebzeiten gesellschaftlich, politisch und kulturell abzeichneten. Arthur Schnitzler starb am 21.10.1931 in Wien.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg neu entdeckt
 
Während der nationalsozialistischen Ära war sein Werk in Deutschland verboten, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Schnitzler wegen seiner präzisen Darstellungskunst, der psychologisch versierten Darstellungsweise und seiner meisterhaften Sprache wieder entdeckt. Eine erste Gesamtausgabe war übrigens bereits im Jahr 1903 in Russland begonnen worden, die erste deutsche Gesamtausgabe erschien 1922/23. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien dann auch eine Gesamtausgabe in italienischer Übersetzung. Im Jahr 1998 adaptierte Stanley Kubrick die Thematik von Schnitzlers »Traumnovelle« von 1926 und verlegte die Handlung nach New York. »Eyes wide shut« mit Tom Cruise und Nicole Kidman wurde Kubricks letzter Film und ein weltweiter Erfolg.
 
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| ZEITTAFEL: ARTHUR SCHNITZLERS LEBEN UND WERK                                 |
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| 1862          | Am 15.05. wird Arthur als Sohn eines jüdischen Arztes in Wien         |
|                  | geboren.                                                                                       |
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| 1871-79     | Besuch des Akademischen Gymnasiums                                        |
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| 1880          | Erste literarische Veröffentlichung: »Liebeslied der                           |
|                  | Ballerine«, abgedruckt in »Der freie Landesbote« in München            |
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| 1885          | Promotion zum Dr. med.                                                                |
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| 1885          | Assistenzarzt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus                         |
| -88            |                                                                                                     |
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| 1886          | Von diesem Jahr an ist Schnitzler häufig mit Gedichten, Prosa         |
|                  | und Aphorismen in verschiedenen Zeitschriften vertreten.                 |
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| 1888-93     | Assistent des Vaters an der Poliklinik                                             |
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| 1892/93     | Die Einakterreihe »Anatol« erscheint in Berlin.                                 |
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| 1893          | Tod des Vaters, Schnitzler eröffnet eine eigene Praxis.                    |
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| 1895          | Skandal mit dem Schauspiel »Liebelei«. Die Novelle »Sterben«        |
|                  | erscheint bei S. Fischer, Berlin.                                                      |
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| 1896/97     | Schnitzler verfasst die Szenenreihe »Reigen« .                                |
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| 1901          | »Lieutenant Gustl« (Novelle)                                                           |
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| 1903          | Schnitzlers Szenenreihe »Reigen« erscheint in Wien.                       |
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| 1904          | »Der einsame Weg« (Schauspiel) erscheint in Berlin.                       |
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| 1908          | »Der Weg ins Freie« (Roman)                                                         |
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| 1911          | »Das weite Land« (Tragikomödie) wird gleichzeitig an acht                |
|                  | Bühnen aufgeführt.                                                                        |
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| 1912          | »Professor Bernhardi« wird in Berlin uraufgeführt. Das Stück            |
|                  | bleibt in Österreich bis 1918 verboten.                                             |
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| 1914          | »Liebelei« wird in Dänemark verfilmt.                                              |
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| 1917          | »Ich« (Erzählung)                                                                          |
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| 1920          | Der »Reigen« wird in Berlin uraufgeführt. Nach anhaltendem             |
|                  | Skandal und nach Prozessen sperrt Schnitzler das Stück für            |
|                  | öffentliche Aufführungen.                                                               |
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| 1924          | »Fräulein Else« (Erzählung)                                                            |
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| 1926          | »Traumnovelle«                                                                             |
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| 1928          | »Therese. Chronik eines Frauenlebens« (Roman)                             |
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| 1931          | »Flucht in die Finsternis« (Novelle);                                                |
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|                  | Arthur Schnitzler stirbt am 21.10. in Wien.                                       |
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Franz Baumer: Arthur Schnitzler. Berlin 1992.
 Friedrich Rothe: Arthur Schnitzler und Adele Sandrock. Theater über Theater. Sonderausgabe Reinbek 1998.
 Hartmut Scheible: Arthur Schnitzler. Reinbek 1998.
 Ulrich Weinzierl: Arthur Schnitzler. Lieben, Träumen, Sterben. Lizenzausgabe Frankfurt am Main 1998.
 Giuseppe Farese: Arthur Schnitzler. Ein Leben in Wien 1862—1931. Aus dem Italienischen. München 1999.
 Ursula Keller: Böser Dinge hübsche Formel. Das Wien Arthur Schnitzlers. Lizenzausgabe Frankfurt am Main 2000.

Universal-Lexikon. 2012.

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